Jahrbuch / Annals

Engels, Eve-Marie; Gutmann, Mathias; Weingarten, Michael (Hg.)

Jahrbuch für Geschichte und Theorie der Biologie 6

233 S., 17 x 24 cm, 38 Abb. u. Tab
VWB-Verlag, Berlin 1999
ISBN 3 – 86135-366 – 0
27,00 Euro
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Themenschwerpunkt: Das Leben, der Organismus und die Seele – Konstitutive Metaphern in den Biowissenschaften

Dass auch in wissenschaftlichen Texten Metaphern verwendet werden, dürfte heute weitgehend unkontrovers sein. Inwiefern den Metaphern aber eine konstitutive Funktion zukommt, etwa im Sinne von Blumenbergs „absoluten Metaphern”, weil mit ihnen etwas gesagt wird, das ohne metaphorische Umschreibung nicht zum Ausdruck gebracht werden könnte; oder ob metaphorische Ausdrücke spätestens dann durch explizite Rede ersetzt werden müssen, wenn das mit ihnen Ausgesagte aufgrund von Nachfragen präzisiert werden muss oder gar in Frage gestellt wird, so etwa die Überzeugung bedeutender Vertreter der analytischen Philosophie wie D. Davidson oder J. R. Searle, ist zur Zeit heftig umstritten. Die Debatte um Metaphern wird noch intensiver, wenn u.a. aufgrund der Verwendung von Metaphern als rhetorischer Mittel der Verständigung die These plausibel gemacht werden soll, dass die bisher allgemein akzeptierten Unterscheidungen von Rationalitätstypen mit je eigenen Geltungsansprüchen (wie Wissenschaft, Ästhetik und Moral) aufbrechen. So fragen postmoderne Philosophen und Wissenschaftshistoriker insbesondere, inwiefern die Unterscheidung von Textsorten wie wissenschaftlichen Texten mit dem starken Anspruch auf Wahrheit einerseits und literarisch-expressiven Texten andererseits noch begründet aufrechterhalten werden könne, wenn in beiden doch mit denselben rhetorischen Mitteln gearbeitet werde.

Zwar gibt es schon eine beachtliche Anzahl wissenschaftshistorischer Untersuchungen, in denen Formen der Metaphernverwendung oder auch des Wechsels von Leit-Metaphoriken dargestellt werden. Wird in solchen Untersuchungen weiter nach den Gründen der Verwendung von Metaphern gefragt, dann rücken zwar die sozialen Kontexte, in denen Wissenschaft getrieben wird, in den Blickpunkt des Wissenschaftshistorikers. Inwiefern aber die jeweiligen Metaphern „notwendige Metaphern” (im Sinne Josef Königs) sind, also über die soziale Kontextualisierung hinaus auf die Formen der Gegenstandskonstitution in den jeweiligen Wissenschaften verweisen, ist bisher zumindest noch unzureichend untersucht. In dieser Perspektive wird die Frage wichtig, ob die Gegenstandskonstitution in einem Forschungszusammenhang nur über Metaphoriken vorgenommen werden kann (wobei die Kontextualisierung des Wissenschaftshandelns in einem bestimmten sozialen Umfeld aufklären kann, warum diese und nicht jene Metapher für eine Wissenschaft leitend wurde) oder ob in der Art metaphorischen Redens von den Zeitgenossen nur unreflektiert soziale und kulturelle Traditionen und Überzeugungen artikuliert werden, die systematisch für die Begründung wissenschaftlicher Aussagen bedeutungslos sind. Wissenschaftshistorische Untersuchungen können so zwar das benötigte Material für Untersuchungen zur Verwendung von Metaphern in den Wissenschaften liefern; für die systematisch wichtige Unterscheidung von „notwendigen” resp. „eigentlichen” Metaphern einerseits und „bloßen” (weil durch explizite Rede substituierbaren) Metaphern andererseits bedarf es dagegen weiterer sprachphilosophischer und wissenschaftstheoretischer Arbeiten.

Die Notwendigkeit der Verklammerung wissenschaftshistorischer Fallstudien und wissenschaftstheoretischer, philosophisch-systematischer Untersuchungen kann darüber hinaus noch weiter verdeutlicht werden, wenn die Dimension metaphorischen Redens in ihrer Beziehung zur Praxis der Modellierung und Modell-Verwendung in den Fachwissenschaften beachtet wird. Dass es sich hierbei um einen Untersuchungsbereich handelt, der noch kaum bearbeitet wurde, kann daran deutlich werden, dass in Untersuchungen zur Praxis der Modellverwendung in den Wissenschaften nahezu ausschließlich die Abbildungsfunktion von Modellen thematisiert wurde (Modell von „.), nicht aber der gegenstandskonstitutive Aspekte (Modell für …). Es macht aber schon einen erheblichen Unterschied, ob etwa die Pumpe als Modell von Herz von Blutkreislauf verstanden wird, wobei die Abbildungsrelation von Modell und dem im Modell Dargestellten als gesichert aufgrund derselben Naturgesetze unterstellt wird. Oder ob die Pumpe, die als technisches Artefakt eingebunden ist in eine mehr oder weniger gut funktionierende Praxis, genommen wird als Modell für die Strukturierung einer Leistung von Lebewesen; so wie ja auch Aristoteles schon den Organ-Begriff einführte über Werkzeuge, deren Aufbau und Gebrauch er bei seinen Zeitgenossen als bekannt und nachvollziehbar unterstellen durfte.

Dieser ganze Problem-Bereich kann mit dem vorliegenden Jahrbuch nur angesprochen, aber sicherlich keiner befriedigenden Lösung zugeführt werden. Dazu bedarf es weiterer Fallstudien, in denen wissenschaftshistorische mit wissenschaftstheoretischen Bemühungen verbunden werden, denn nur so können die anstehenden Fragen zureichend bearbeitet werden. […]

Inhalt

VorbemerkungS. 5 – 6
Hans Werner Ingensiep:
Leben am Rande der Seelenordnung. Grundzüge einer Ideengeschichte der Pflanzenseele
S. 7 – 42
Mathias Gutmann & Christine Hertler:
Modell und Metapher. Exemplarische Rekonstruktionen zum Hydraulikmodell und seinem Mißverständnis
S. 43 – 75
Heike Barantzke:
Erich Wasmann (29.5.1859 – 27.2.1931) – Jesuit und Zoologe in Personalunion
S. 77 – 139
Dorothee Früh:
Die Genealogie als Hilfswissenschaft der Humangenetik
S. 141 – 162
Karl-Peter Ohly:
Unwillkommene Regelmäßigkeiten – Zu Chargaffs Entdeckung der Basenpaarung
S. 163 – 172
Ekkehard Höxtermann:
Von der Keimungsgeschichte zur Experimentalphysiologie der Pflanzen – ein Nachtrag zum 100. Todestag des Julius Sachs (1832 – 1897)
S. 173 – 194
Volker Schurig:
Kritische Anmerkungen zur Diversität des Begriffs “Biodiversität”
S. 195 – 204
Ragnar Kinzelbach:
Zur Semantik historischer Vogeldarstellungen:
(1) Der Kuckuck (Cuculus canorus) bei Hans Baldung gen. Grien (1511)
(2) St. Franciscus predigt den Vögeln von Giotto Di Bondone (1300)
S. 205 – 215
Dieter Zissler: Über Semper und SempernS. 217 – 232