27. Jahrestagung der DGGTB 2018 – Abstracts zu den Vorträgen

Michael Morkramer (Lippstadt): Der Lippstädter Lehrplan von 1876 – „Über die Folgen des Mißbrauchs des naturgeschichtlichen Unterrichtes“

Hermann Müller hatte die Anthropogenie nach Haeckel in den erweiterten Lippstädter Lehrplan aufgenommen und im aktuellen Schulprogramm Ostern 1876 veröffentlicht. Nun sah er sich juristischen Angriffen von Seiten der katholischen Geistlichkeit wegen Gotteslästerung ausgesetzt. Man wollte ihn vom Dienst suspendiert sehen. Der als „Lippstädter Fall“ bekannt gewordene Vorgang endete im Februar 1879 in der parlamentarischen Auseinandersetzung um den Haushalt des Kultusministers Falk.

Müller änderte nachweislich den Lehrplan von 1876 nicht, hielt sich aber an die Auflagen der Behörde, Anthropogenie und Abstammungslehre nicht weiter zu vermitteln. 1882 und 1892 kam es zu einschneidenden Veränderungen in der Bildungspolitik. Im sog. Berechtigungsstreit/Schulkrieg zwischen den Realschulen und Gymnasien wurde in z.T. hitzigen Diskussionen über die Wertigkeit von Humanismus und Realismus gestritten.

Dem Aufschwung der Biologie ab den 1860er Jahren mit einer deutlichen Zunahme an Studenten und einem Ausbau entsprechender Lehrstühle an den Universitäten stand ab 1882 durch den Wegfall der Biologie in der Prima ein Abschwung entgegen. Die Schädigung für die Biologie war enorm. Nicht Wenige lasteten dies dem Lippstädter Lehrplan an.

Doch ist diese Beurteilung gerechtfertigt? Bei Durchsicht der entsprechenden Literatur stößt man auf gewichtigere Gründe, die zur Abschaffung der Naturbetrachtung in der Oberstufe führten? Da spielt der Fall Müller-Lippstadt kaum eine Rolle.

Lisa Kragh (Kiel): „Der Paria unter den Schulwissenschaften“ – Biologieunterricht im Deutschen Kaiserreich

Am Biologieunterricht schieden sich in der Zeit zwischen 1871 und 1918, dieser Scharnierphase der Moderne, sprichwörtlich die Geister: Er wurde zum Zankapfel zwischen Neuhumanisten und Realisten, zwischen Befürwortern und Gegnern des Darwinismus, zwischen Altkonservativen und Sozialisten, zwischen Dualisten und Monisten, und erfuhr als Folge dieser Auseinandersetzungen Einschränkungen und Verbote, aber auch dezidierte Förderung.

Ausschlaggebend für die Ablehnung biologischen Unterrichts an höheren Schulen war insbesondere dessen Identifikation mit dem damals heftig umstrittenen Darwinismus, der unter anderem durch Haeckels populärwissenschaftliche Schriften auch in der breiten Öffentlichkeit rezipiert wurde. Früh warnte das definitionsmächtige Berliner Netzwerk um die Wissenschaftler Virchow und Du Bois-Reymond vor der Aufnahme der hypothesenhaften darwinistischen Theorien in den naturwissenschaftlichen Schulunterricht. Gegner führten immer wieder die degenerierende Wirkung an, die der Darwinismus auf die Kultur und die unmündigen Schüler ausübe, indem er zur Kultivierung von Atheismus, Sozialismus, Materialismus und Nihilismus führe. Nur ein neuhumanistisch ausgerichteter Unterricht, der wenig Platz für naturwissenschaftliche Unterweisung ließ, könne dem entgegenwirken. Die Streichung des Naturkundeunterrichts an den Oberstufen der preußischen Gymnasien im Jahr 1882 war die Folge dieser gezielten Diffamierung und bewegte den Lehrer Friedrich Ahlborn 1901 dazu, den so gebrandmarkten Biologieunterricht als „Paria unter den Schulwissenschaften“, als „Torso ohne Kopf und Beine“ zu bezeichnen.

Ebenso spannend wie die Umstände seines Verbots sind aber auch die Argumente, die schließlich 1907 zur Wiedereinführung des biologischen Unterrichts führen sollten: Wieder ging es um die Identifizierung von biologischen Theorien und sozialistischen, atheistischen und revolutionären Tendenzen, vorgebracht diesmal vom Kieler Botaniker Johannes Reinke im Preußischen Herrenhaus. Doch anders als noch in den 1870ern folgerte Reinke aus dieser potenziellen Politisierung und Verweltanschaulichung der Biologie gerade die Notwendigkeit biologischen Unterrichts in den höheren Klassen, um die Lernenden hiergegen zu wappnen.

Eine Auseinandersetzung mit dem Biologieunterrichtsstreit in der Kaiserzeit eignet sich in besonderem Maße, um die Geschichte dieses Schulfachs zu verbinden mit der Weiterentwicklung der biologischen Wissenschaften im 19. Jahrhundert insgesamt sowie deren Rezeption durch verschiedenste Akteursgruppen. Sie zeigt zugleich, dass der heutige Status der Naturwissenschaften als Grundlage unseres modernen Weltbildes seine ganz eigene Historizität hat und einige Widerstände zu überwinden hatte.

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Lisa Kragh, M.Ed.
Historisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Abteilung für Regionalgeschichte
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Harald Gropp (Heidelberg): Julius Ruska (1867 – 1949) – Der Kampf um den Biologieunterricht in Baden

Der Verfasser des vorliegenden Werkchens hat wohl als erster in der Behandlung der Wirbeltiere auf der Mittelstufe den entwicklungsgeschichtlich aufsteigenden Weg eingeschlagen ….. Die Forderung, mit einem veralteten System zu brechen, klopft immer vernehmlicher an die Pforten der Schule.“ (Julius Ruska, Tierkunde in aufsteigender Darstellung, 1915)

Der Streit um die Diskussion der Darwinschen „Entwickelungstheorie“ im Biologieunterricht in Deutschland ist im 1. Weltkrieg noch im vollen Gange. Seit 1882 gab es in Preußen keinen Biologieunterricht mehr in der Oberstufe, und es sollte bis 1925 dauern, bis dieses Fach wieder zum Pflichtfach wurde.

Es wäre zu begrüßen, wenn es endlich freigegeben würde, im Bereich der Mittelstufe den Stoff nach eigenem Ermessen auch aufsteigend zu behandeln. ….. Wichtiger scheint mir, auf die Zusammenhänge mit ausgestorbenen Formen hinzuweisen, die in den Erdschichten als Zeugen der tatsächlichen Entwicklung des Lebens aufbewahrt sind.“ (Ruska, Tierkunde, Auflage 1920)

Julius Ruska war Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften in Heidelberg in Baden, später vor allem Orientalist und Wissenschaftshistoriker. Er engagierte sich stark in der Didaktik der Naturwissenschaften in Baden und deutschlandweit, sowohl was Inhalte als auch was Materialien betraf, vor allem in Biologie und Geologie. Nicht ganz zufällig ist einer seiner Söhne der spätere Physiknobelpreisträger Ernst Ruska (Elektronenmikroskop). Ruskas Engagement seit 1900 wird hier nachgezeichnet mit speziellem Fokus auf Baden.

Ein solches Mittel ist aber auch die hartnäckige Ausschliessung der Diskussion entwicklungsgeschichtlicher Probleme von der Schule. Nur der Religionslehrer hat hierin bekanntlich volle Freiheit; der Naturforscher hat zu schweigen.“ (Ruska, 1904)

Hans-Werner Gross (Lippstadt): „Der Bildungswert der Kleinwelt“ – Von der Popularisierung der Mikroskopie

Die Entdeckung der Mikroskopie eröffnete den Mikrokosmos als neues Forschungsfeld und lieferte einen bedeutenden Beitrag zur biologischen Bildung. Die Popularisierung der Mikroskopie begann bereits mit den ersten Veröffentlichungen im 17. Jh., die wie Insecten-Belustigung (A. J. Rösel von Rosenhof) mit unterhaltsamem Wert ein breites Publikum erreichten.

Anfangs faszinierten die neuen Einblicke in der Forschung Laien. Einige brachten durch ihre semiprofessionelle Beschäftigung mit der mikroskopischen Morphologie bedeutsame Erkenntnisse an die Öffentlichkeit und gaben Impulse für die Wissenschaft. Herausragend waren R. Hooke mit dem ersten Lehrbuch zur Mikroskopie Micrographia (1665) und A. van Leeuwenhoek, der seine Beobachtungen der Royal Society London übermittelte.

Während die mikroskopische Forschung dann stagnierte, erfreute sich das Mikroskop im 18. Jh. in gebildeten gesellschaftlichen Kreisen großer Beliebtheit. Anregungen für Liebhaber bot in deutscher Sprache 1734 C. C. Cuno mit seinem illustrierten Werk Observationes[…]. Die Verbesserung der optischen Qualität der Mikroskope ab dem 19. Jh. führte zu einer Fülle von Entdeckungen in den sich nun in Fakultäten wie Biologie, Medizin etc. differenzierenden Universitäten. Wissenschaftlern wie M. J. Schleiden lag dabei auch an populärwissenschaftlichen Darstellungen. Wie von BrehmsTierleben ging auch von R.H. Francés Das Leben der Pflanzen mit dem 1907 erschienenen Sonderdruck Der Bildungswert der Kleinwelt, der sich ganz der Mikroskopie widmet, ein enormer Popularisierungseffekt aus.

An der Schnittstelle von Medienwissenschaft und Wissenschaftsgeschichte werden für Deutschland Beispiele aus Literatur, der Aktivität naturwissenschaftlicher Vereine und Gesellschaften, Museumsarbeit etc. aufgeführt, die für die Popularisierung der Mikroskopie von großer Bedeutung waren und noch sind. Thematisiert werden auch die praktische Anwendung von Mikroskopen im Schulunterricht im Wandel der Biologiedidaktik und die Rolle der neuen Medien.

Hans-Peter Ziemek (Gießen): Schulaquaristik von 1850 bis heute – ein „analoges“ Unterrichtsmedium, seine Geschichte und seine Zukunft

Um 1850 brachte Emil Adolf Roßmäßler mit seinen Artikeln in der „Gartenlaube“ das Aquarium in die Wohnungen und Wintergärten des deutschen Bürgertums. Aquarien und Terrarien begannen dann einen „Eroberungszug“ durch die Wohnzimmer und gelangten auch schnell in Schulen. Lehrerinnen und Lehrer konnten mit ihrer Hilfe originale Begegnungen ermöglichen und das auch noch unter naturähnlichen Bedingungen, ein Glücksfall für die Vermittlung der ersten Erkenntnisse der aufstrebend neuen Teildisziplin der Biologie, der Ökologie.

Das Buch Der Dorfteich als Lebensgemeinschaft von Junge aus dem Jahr 1885 ist hier ein hervorragendes Beispiel und wird bis heute in Waldorf-Schulen zur Naturbetrachtung eingesetzt.

Im Vortrag soll die Geschichte der Schulaquarien bis heute nachgezeichnet werden. Als Quellen dienen insbesondere die vielfältigen Aquarienzeitschriften, Schulbücher, Lehrpläne und Curricula.

Letztlich wird es auch um einen Ausblick in die Zukunft gehen. Dabei geht es um die Abschätzung, ob „analoge“ Medien in der digitalen Schulwelt noch eine Chance haben.

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Prof. Dr. Hans-Peter Ziemek
Institut für Biologiedidaktik
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Hans-Jörg Wilke (Ueckermünde): Die Veranschaulichung tiergeographischer Inhalte im zoologischen Schulbuch der höheren Schulen des deutschen Sprachraums 1860 – 1945

Anhand einer Analyse von 445 zoologischen Schulbüchern für die höheren Schulen des deutschen Sprachraums wurde die Integration und Veranschaulichung tiergeographischer Inhalte untersucht. Das Ergebnis zeigt, dass von 1860 bis 1945 in 25 Prozent aller Schulbücher die Tiergeographie Aufnahme fand, wobei die Verteilung innerhalb des Gesamtzeitraumes differenziert betrachtet werden muss. Auch der Umfang der textlichen und bildlichen Darstellung fiel sehr unterschiedlich aus und reicht von einer bis zu 60 Seiten.

In Schulbüchern der beiden Jahrzehnte nach 1860 wurde die Tiergeographie vereinzelt in gesonderten Kapiteln berücksichtigt. In den 1880er Jahren thematisierte eine zunehmende Anzahl von Autoren und Verlagen die Thematik. Die Popularisierung der Zoogeographie durch das Hauptwerk von Alfred Russel Wallace über die Geographische Verbreitung der Thiere (1876) und die noch im gleichen Jahr erfolgte Übersetzung ins Deutsche beeinflusste diese Entwicklung. Die Bezugnahme auf dieses Werk in den Schulbüchern ist mehrfach belegt. In den 1890er Jahren beeinflussten Lehrplanvorgaben (1891) die Integration tiergeographischer Inhalte. Kaum ein großer Schulbuchverlag konnte sich diesen Vorgaben entziehen. Um 1900 kam es unter Nutzung neuerer Arbeiten, u. a. von Möbius (1891, 1909) und Trouessart (1892) zu unterschiedlichen Akzentuierungen der Inhalte. Die gestalterische Vielfalt nahm zu und setzte sich bis in die 1920er Jahre fort. In den 1930er Jahren verlor die Zoogeographie aufgrund geänderter inhaltlicher Akzentuierungen im Biologieunterricht an Bedeutung.

Die Untersuchung zeigt zudem, dass Autoren und Verleger nach individuellen Lösungen suchten, um tiergeographische Inhalte didaktisch aufzubereiten. Vorrangiges Anschauungsmittel in den Schulbüchern waren Karten zur Tiergeographie, die in Anlehnung an Wallace, Möbius, Trouessart und Jacobi auch farbig publiziert wurden. Die Anzahl der dargestellten zoogeographischen Regionen oder Gebiete sowie die verwendeten Begrifflichkeiten gehen auf die jeweilig genutzten Quellen zurück. Mitunter wurde sehr detailreich gearbeitet und eine Vielzahl von Tiernamen in die Karten eingetragen. Neben kartographischen Darstellungen illustrierten Abbildungen die Texte. Sie zeigen Tierarten oder Tiergemeinschaften der einzelnen Regionen und Faunengebiete. Für die Abbildungen lieferten mindestens acht Illustratoren zum Teil zeitgemäße und für den Schulgebrauch geeignete Vorlagen. Zu den beteiligten Künstlern zählten so renommierte Tiermaler wie Gustav Mützel und Wilhelm Kuhnert aber auch Zeichenlehrer wie Paul Flanderky und Hugo Schnüge.

 

Katharina Lenski (Jena): Veränderung der Wissenschaftspraktiken in den Naturwissenschaften der DDR

Als 1984 der mächtigste Mann der Jenaer Universität verstarb, endete dort eine Ära, die von der Herrschaft eines Antifa-Kaders geprägt war. Dieser hatte seit 1969 als Erster Prorektor an der Spitze einer Hochschule gestanden, die sich in der Militärentwicklung profiliert hatte und damit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft enger verpflichtet war, als zu vermuten wäre. Abweichendes Sprechen galt dort als dysfunktional: Nicht das Gespräch, sondern die Fähigkeit zur Geheimhaltung setzte sich als Schlüsselkompetenz durch. Dieses Schweigen verhinderte die Reflexion alltäglicher Fragen, was die wissenschaftliche Diskussion ebenso blockierte. Es entstand ein dysfunktionaler Kommunikationsraum, gekennzeichnet durch Misstrauen und Abgrenzung.

Galt das auch für die Naturwissenschaften? Die empirische Methodik schien diese unstrittig der Wissenschaft zu verpflichten. Ein genauerer Blick jedoch weckt Zweifel an dieser Überzeugung und führt zu der Einsicht, dass die Naturwissenschaften enger in den Kontext eingebunden waren, als postuliert wird. Im Vortrag wird die Wissenschaftspraxis diskutiert, die aus den zeitgebundenen Imaginationen und Implikationen resultierte.

Eberhard Mey (Rudolstadt): Citizen science: Ausschluss von politischen und rechtlichen Aspekten in der Geschichtsschreibung um jeden Preis? Ein kritischer Fall in Thüringen

Im Dezember 2014 erschien im Anzeiger des Vereins Thüringer Ornithologen (Band 8, 1. Heft, S. 101 – 112) der wissenschaftshistorische Beitrag „Ergänzendes zur Biographie Ludwig Baeges (1932 – 1989)“. In dieser solide recherchierten und quellendokumentierten Studie widmet sich der Autor, Rudolf Möller, kritisch der Persönlichkeit des thüringischen Ornithologenkenners Ludwig Baege, der von 1976 bis 1989 Direktor des Naumann-Museums in Köthen/Sachsen-Anhalt war. Unter die Lupe genommen wurden nicht nur dessen wissenschaftshistorische Publikationen, sondern auch ein gegen ihn erhobener Plagiatsvorwurf sowie dessen langjährige Tätigkeit (1954 – 1988) als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR. Von diesem Beitrag ist im Frühjahr 2015 die deutsche und englische Zusammenfassung auf die Website des VTO gestellt worden (wie von anderen Anzeiger-Beiträgen auch, nur die erste Seite). Nach Schreiben der Tochter von L. Baege, das Lebenswerk ihres Vaters würde damit diffamiert werden, zeigte der Vorstand des VTO „volles Verständnis“ ihrer Forderung nachzukommen und die betreffende Seite (im Februar 2016) bedingungslos zu löschen. Dies geschah ohne vorherige Inkenntnissetzung des Autors (R. Möller) und des damaligen Herausgebers (E. Mey). Mit Verweis auf die damit vollzogene Verletzung des Autorenrechts sowie der in Deutschland grundgesetzlich geschützten Presse- und Meinungsfreiheit (Artikel 5), erhoben dagegen Autor und Herausgeber schriftlich Einspruch. Dieser blieb unbeantwortet. Man versuchte, die Sache auszusitzen. Die Situation eskalierte zu einem Rechtsstreit, in dessen Verlauf R. Möller wegen vereinsschädigenden Verhaltens – ausdrücklich nicht wegen des Baege-Beitrags – von Vorstand (8.6.2016) und Mitgliederversammlung (17.3.2017) aus dem VTO ausgeschlossen wurde. Mit diesem Rechtsverfahren restlos überfordert, musste der VTO schließlich zur Kenntnis nehmen, dass der (zweimalige!) Ausschluss R. Möllers rechtswidrig und deshalb unwirksam ist. Trotzdem, und doch gut zu verstehen, hat R. Möller, der seit 1992 14 z. T. umfangreiche wissenschaftshistorische Beiträge und fast ebenso viele Buchbesprechungen im Anzeiger publizierte, bald darauf seinen Austritt aus dem VTO erklärt. Zu dem eigentlichen Problem, Verletzung von Artikel 5 des Grundgesetzes, ist aber sowohl von juristischer als auch von Vereinsseite nicht offen Stellung bezogen worden. Die rechtswidrig gelöschte Seite auf der Homepage des VTO ist leer geblieben. Das wissenschaftshistorische Thema selbst scheint im VTO in seiner gesellschaftlichen Bedeutung unverstanden und/oder unerwünscht zu sein. Absurd und wirklichkeitsfremd wie vereinssatzungswidrig konnte von einem Rechtsvertreter des VTO u. a. erklärt werden: „Politische, ideologische sowie historische Themen sind […] nicht Teil der Vereinstätigkeit oder des Themenkreises des Anzeigers.“ Geschichte verdrängen oder verbiegen zu wollen, wird in einer offenen Gesellschaft letztlich keine Chance haben.

Kontakt
Dr. rer. nat. Eberhard Mey
Ankerweg 16
07407 Rudolstadt

Marion Lange (Marburg): Nachhaltigkeit der fachdidaktischen Biologielehrerausbildung in der ehemaligen DDR

Ausgehend von den durchschnittlich besseren Ergebnissen ostdeutscher Schüler_Innen im Vergleich zu westdeutschen Schüler_Innen im Fach Biologie (vgl. z.B. IQB-Ländervergleich 2012, PISA-Studie 2015) und unter der Annahme einer Wirkkette – Lehrerbildung-Lehrerhandeln-Schülerleistung (Cramer 2012), war es sinnvoll, die Lehrerbildung in der ehemaligen DDR in den Blick zu nehmen. Das methodologische Vorgehen in dieser Untersuchung stellt eine Triangulation (Flick 1999) von qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden dar. Zunächst wurden Dokumente zur fachdidaktischen Biologielehrerausbildung in der ehemaligen DDR analysiert. So konnten Schwerpunkte für einen Interviewleitfaden herausgearbeitet werden. Die erhobenen Interviews mit Biologielehrkräften, die in der ehemaligen DDR studiert haben und heute noch unterrichten, wurden mit der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010, 2016) ausgewertet. Auf der Grundlage der identifizierten Kategorien wurden die Items des Fragebogens entwickelt. 370 gültige Fragebögen konnten statistisch ausgewertet werden. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden Aspekte sowohl strukturell-organisatorischer als auch inhaltlicher Natur hinsichtlich der Verknüpfung des Fachwissens, des fachdidaktischen Wissens und der Anwendung in der Schulpraxis bestimmt, die sich nachhaltig auf das Professionswissen von Lehrkräften auswirken. Diese Aspekte lassen sich gewinnbringend in die heutige universitäre Lehrerbildung implementieren.

Peter Schulthess (Sulzbach/Uster): Heinrich Zollinger – Lehrer und Naturalist

Am Beispiel der Biografie von Heinrich Zollinger (1818 – 1859) werfen wir einen Blick in die Schul- und Naturgeschichte in der Schweiz zwischen 1830 und 1860. Zollinger war als Naturalist im Indischen Archipel tätig und ist somit auch Teil der wissenschaftlichen Durchdringung dieses tropischen Raumes durch das holländische Kolonialregime geworden. Er hatte aber eine eigenständige Position gefunden, die sich in der Vision der Flora Malesiana ausdrückte. Dieses Mammutprojekt beschäftigte bis heute tausende von Naturforschern. Tropische Handelsgüter und die Tropenforschungen wirkten auch zurück in die Erforschung des schweizerischen Naturraumes. Hier waren „Gelehrte“ und Lehrer aber auch Kaufleute aus der Textilindustrie die treibenden Kräfte.

Nach einem Studium beim Botaniker de Candolle in Genf verbrachte Zollinger 7 Jahre als Naturforscher in Java. Seine Tagebücher sind außerordentliche Zeugnisse eines Tropenreisenden und Tropenforschers. Er hat auch publiziert; in einer Vielzahl von Schriften und Sprachen erfährt man vom Stand der damaligen Wissenschaft. Seine Gebiete der Naturgeschichte sind Botanik, Zoologie, Mineralogie und Geologie. Ethnographie kommt vor – wurde aber nicht publiziert. Seine schönsten Werke sind die Länderkunden von Lombok und Sumbawa. Er gilt als Pionier der botanischen Durchdringung von Ostjava. Er hatte grosse Herbarien angelegt. Er bestieg 1847 als Erster und Einziger den Vulkan Tambora, der 1816 das letzte «Jahr ohne Sommer» brachte. Zollinger stand und steht im Schatten des „Humboldt von Java“: Franz Wilhelm Junghuhn.

Zollingers Hauptwerke – Tambora und Flora Malesiana – eignen sich gut, um die Naturgeschichte vom 18. bis ins 21. Jahrhundert zu studieren: Die Geschichte der Erforschung der vulkanisch bedingten Klimakrisen und die Erforschung komplexer Biogeografie. Er konnte aber seine Erkenntnisse weder in die universitären noch in die schulischen Felder in Zürich hineintragen. Zuletzt verkaufte er seine Pflanzensammlung um weiter publizieren zu können. Ab 1855 wurde er gar Teil des kolonialen Systems, indem er eine große Palmölplantage im Osten von Java errichtete.

Ziel meines Vortrags: Biografiearbeit kann einen vertieften Zugang zur Naturgeschichte schaffen. Ich habe die Biografie von Zollinger als Buch- und Ausstellungskonzept angelegt. Indem ich durch die Biografie führe, kann ich die Themen der Naturgeschichte einführen, welche diesen Menschen geprägt hatten und welche dieser Mensch geprägt hatte. Die Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt kommen in seiner Biografie gut zum Ausdruck: Zollinger ein „Kind seiner Zeit“ und stark beeinflusst von Goethe und Humboldt.

Kontakt
Peter Schulthess
Im Grundholz 1
8614 Sulzbach/Uster
Schweiz
E‑Mail: peter@peter-schulthess.ch
web: www.heinrich-zollinger.ch

Kai Torsten Kanz (Lübeck): Vorlesungen über „Biologie“ an deutschen Universitäten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Der vielbeachtete Übergang von der Naturgeschichte zur Biologie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wird vor allem mit dem sechsbändigen Werk des Bremer Arztes Gottfried Reinhold Treviranus’ Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Aerzte (6 Bde., Göttingen 1802 – 1822) konnotiert, in dem dieser als erster eine ausführlichere Begriffsbestimmung einer “Biologie oder Lebenslehre” vornahm.

An den Universitäten des deutschen Sprachraums fand ein solches Lehrgebiet “Biologie” nur sehr zögernd Eingang. Dies lag in erster Linie an der traditionellen Universitätshierarchie mit der Aufteilung in Fakultäten, wo der Medizinischen Fakultät seit dem Mittelalter der Unterricht in Physiologie zukam, und an den Philosophischen Fakultäten seit den 1760er Jahren Professuren für das Fachgebiet “Naturgeschichte” geschaffen worden waren, die vielfach in Personalunion mit kameralistischen Lehrstühlen besetzt wurden.

Trotz einer zunehmenden Verbreitung des Wortes Biologie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schlug sich diese Entwicklung kaum auf die Benennung von Lehrveranstaltungen durch. Bekanntlich war der an der Universität Göttingen als Privatdozent lehrende Lorenz Oken der erste, der für das Wintersemester 1805/06 eine Lehrveranstaltung zu “Biologie” ankündigte, und zu der er sein naturphilosophisch inspiriertes Buch Abriß der Biologie vorlegte.

Eine systematischere Suche nach Vorlesungen unter dem Titel “Biologie” an den Universitäten des deutschen Sprachraums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbrachte eine Reihe weiterer Nachweise von einschlägigen Lehrveranstaltungen. An mindestens sechs Universitäten und von neun verschiedenen Dozenten wurden zwischen 1805 und 1843 Vorlesungen zu diesem Thema angekündigt, die freilich nicht alle stattfanden. Die Informationen zu den Dozenten und Vorlesungen lassen bei mehreren eine thematische Nähe zur Naturphilosophie erkennen, nahezu alle gehörten zur akademischen Randgruppe der unbesoldeten Privatdozenten und wollten mit ihren Ankündigungen offenbar eine Nische im Lehrplan besetzen.

Ein Vergleich mit den sonstigen angekündigten Vorlesungen aus dem Bereich Naturgeschichte bzw. Physiologie zeigt jedoch, daß “Biologie” gar nicht als Ersatz für diese Lehrgebiete fungieren sollte, sondern einzelne Dozenten trugen sogar gleichzeitig über beide Themen vor. Somit zeigt sich auch am Lehrprogramm der Universitäten, wie lange die Begriffsverwendung von “Biologie” noch schwankend und uneinheitlich war. Ein Lehrfach Biologie mit einer klaren disziplinären Struktur konnte sich erst entwickeln, als auch entsprechende Institute für Biologie gegründet und biologische Lehrbücher publiziert wurden.

Jens Pahnke (Jena): Zwischen Philologie und Biologie – Ernst Haeckels Schulzeit in Merseburg und ihr Einfluss auf sein weiteres Schaffen

Ernst Haeckel (1834 – 1919) leistete nicht nur als Zoologe und Evolutionsbiologe bahnbrechende fachwissenschaftliche Pionierarbeit, sondern wurde auch als zentraler Akteur bei der Verbreitung und Popularisierung des Darwinismus, als Reiseschriftsteller und als Künstler für ein großes Publikum bedeutend. Ungeachtet einer breiten biographischen Aufarbeitung seiner Lebensleistung bleiben die Umstände und Einflüsse, die ihn schon in seinen frühen Jahren den Weg zur Naturwissenschaft bahnten, nahezu unbeleuchtet. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang Haeckels Schulzeit in Merseburg, die er zunächst an der dortigen Bürgerschule (1840 – 1843) und dann am Domgymnasium (1843 – 1852) verbrachte. Haeckels Tagebücher, Zeichnungen, Schulaufsätze, Zeugnisse, sein umfangreiches Herbarium sowie der Briefwechsel mit seinen Eltern, der in dem von der Union der deutschen Akademien geförderten Langzeitprojekt »Ernst Haeckel (1834 – 1919): Briefedition« erstmals herausgegeben wird, gewähren detaillierte Einblicke in diesen wichtigen Lebensabschnitt. Anhand dieser z. T. neu erschlossenen Materialien soll der Einfluss von Eltern, Lehrern und Mitschülern auf Haeckels Einstieg in die Wissenschaft und sein weiteres Schaffen herausgearbeitet werden.

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Dr. Jens Pahnke
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Zoologie und Evolutionsforschung Ernst-Haeckel-Haus / Ernst-Haeckel-Briefedition Steubenstraße 2
07743 Jena
Tel.:    +49 (0)3641 949 510
E‑Mail: j.pahnke@uni-jena.de

Christan Molitor (Weimar): Zoologie und Geowissenschaften an der Jenaer Universität um 1900 – Zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit von Ernst Haeckel und Johannes Walther

Der Jenaer Zoologieprofessor Ernst Haeckel (1834 – 1919) war seit den beginnenden 1860er Jahren bestrebt, sowohl die Fachwelt als auch die Öffentlichkeit von der wissenschaftlichen Bedeutung der Evolutionstheorien Charles Darwins (1809 – 1882) zu überzeugen. Haeckels populäre Schriften und Vorträge trugen maßgeblich dazu bei, dass die darwinistischen Ideen in Deutschland zügig Verbreitung fanden und in naturwissenschaftlichen Kreisen kontrovers diskutiert wurden. Beispielhaft lässt sich diesbezüglich sein vielbeachteter Vortrag „Ueber die Entwickelungstheorie Darwins“ anführen, den er am 19. September 1863 auf der 38. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Stettin hielt.

Haeckel versuchte nicht nur Vertreter aus den Bereichen der Zoologie, Anatomie oder Botanik für die neuen darwinistischen Denkweisen zu gewinnen, sondern er wollte auch mit einem geologisch versierten Experten zusammenarbeiten, der ihn bei der Weiterentwicklung der Abstammungslehre unterstützen sollte. Mit Johannes Walther (1860 – 1937), den Haeckel in seiner akademischen Karriere von Beginn an umfassend förderte, hatte der Zoologe einen vielseitig interessierten Biologen, Geologen und Paläontologen an seiner Seite, der von 1882 bis 1906 in Jena wirkte. Walther wurde 1882 am Zoologischen Institut mit einer Studie über die Entwicklung der Deckknochen am Kopfskelett des Hechtes promoviert und in seiner Habilitation, die er 1886 an der Philosophischen Fakultät einreichte, befasste er sich mit fossilen Crinoiden.

Haeckel ermöglichte Walther 1894 ein außerordentliches Ordinariat aus Mitteln der Ritterstiftung, was dazu führte, dass sowohl die Historische Geologie und Paläontologie sowie die Allgemeine Geologie und Mineralogie an der Jenaer Universität durch eigenständige Professuren besetzt werden konnten. Walthers Interessen auf biologisch-geologischen Gebieten waren breit gefächert und als Hochschullehrer und Publizist hatte er sich frühzeitige Anerkennung in naturwissenschaftlichen Kreisen verschaffen können. Walther, der als Forschungsreisender viele Gegenden der Erde durch eigene Anschauung kannte, galt als ausgezeichneter Sedimentologe. Er erforschte Wüstengegenden, Meeresböden oder Küstenlinien und führte tektonische Untersuchungen durch. Neben geowissenschaftlichen Fragestellungen befasste sich Walther mit zahlreichen paläontologischen Problemen. Insbesondere seine fächerübergreifenden Forschungsansätze, die er bei Erkundungen von Korallenriffen und im Bereich der Meeresgeologie zur Anwendung brachte, machten ihn zu einem herausragenden Vertreter der Biogeologie in Deutschland.

Im Rahmen seiner Tätigkeiten als Privatdozent und später als Haeckel-Professor am Geologisch-Mineralogischen-Institut arbeitete Walther eng mit Haeckel zusammen. Den Verpflichtungen des Extraordinariats entsprechend – „dem Entwicklungsgedanken mit geologischen Methoden zum Durchbruch zu verhelfen und in breiten Kreisen geologische Kenntnisse zu vermitteln“ – unterstützte Walther seinen Förderer auf diesen Gebieten und er setzte sich zudem für die Popularisierung von geowissenschaftlichen Erkenntnissen ein. In seinen Jenaer Jahren wurde Walther im Bereich der geologisch-paläontologischen Forschung zur wichtigsten Stütze Haeckels bei dessen Bemühungen um die Verbreitung des Evolutionsgedankens.

Stefan Wogawa (Erfurt): “Wiege des Menschengeschlechts”? Ernst Haeckel und der hypothetische Urkontinent Lemuria

Der Jenaer Biologe Ernst Haeckel (1834 – 1919), einer der bedeutendsten Vorkämpfer des Darwinismus in Deutschland, vertrat mittels biogeographischer Argumente zeitweise die Hypothese, der Mensch habe sich auf einem inzwischen versunkenen Urkontinent Lemuria (oder Lemurien) aus anthropoiden Affen entwickelt. Die Fossilien der Zwischenform, des „Missing Link“, seien mit dem Kontinent untergegangen. Die Hypothese greift also direkt den bedeutendsten und umstrittensten Aspekt in der Durchsetzung der Darwinschen Evolutionstheorie auf, die Entstehung des Menschen. Dennoch blieb sie in der Haeckel-Forschung lange Zeit weitgehend unbeachtet und wurde erst vom Referenten systematisch untersucht. Haeckel selbst wandte sich nach dem Fund der Fossilien des Pithecanthropus erectus durch Eugéne Dubois (1894) von seiner Lemuria-Hypothese ab. Für ihn war das „Missing Link“ gefunden.

Im Vortrag sollen Entstehung, Genese und Rezeption der Hypothese Haeckels dargestellt werden. Sie wurde in Wissenschaft, Wissenschaftspopularisierung und politischen Darstellungen rezipiert. Seit den 1880er Jahren verorteten zudem Okkultisten eine „Wurzelrasse“ des Menschen sowie eine frühe Hochkultur auf dem Urkontinent Lemuria. Völkisch-nationalistischen Ariosophen diente Lemuria, an die okkultistischen Spekulationen anknüpfend, als Kontinent einer als schädlich dargestellten „Rassenmischung“, die zudem antisemitisch ausgedeutet wurde. Auch darauf wird im Vortrag eingegangen.

Veiko Krauß (Düsseldorf): Malthus’ und Paleys anhaltender Einfluss auf die Evolutionstheorie

Zwei Quellen des Darwinismus beeinflussen seit mehr als 200 Jahren die Evolutionsbiologie:

(1) Malthus’ Theorie des menschlichen Populationswachstums (1798) veranlasste Darwin, Konkurrenz als die wesentliche Triebkraft der Evolution zu sehen. Daraus entstand eine oft teleologisch formulierte, individual- bis gen-zentrierte Sichtweise evolutionärer Prozesse. Dementsprechend wurden Mutationen nicht als ein Triebmittel der Evolution, sondern als formlose Voraussetzung für das gestaltende Wirken der Selektion eingeschätzt.

(2) Paleys Beschreibung eines funktionsgerechten Designs der Lebewesen (1802) bildete die Grundlage des Begriffs der Adaption. Oft wird daher Selektion als quasi-exklusiver Gestalter der Organismen angesehen (Adaptionismus). Darwins Modell der kontinuierlichen und in jeder Generation sich erneuernden Variation entspricht dieser Evolutionsvorstellung. Unvollkommene Anpassung kann unter diesen Umständen nur Konsequenz mangelnder Evolutionsdauer oder einander widerstreitender Selektionsprozesse sein. Die Diskretheit der Mutationen sowie die Kontingenz evolutionärer Prozesse als Folge von Drift, Kopplung und verschiedenen Mutationswahrscheinlichkeiten bestimmen den Evolutionsverlauf jedoch wesentlich mit.

Darwins unzutreffende Vorstellungen über (1) den Antrieb der Evolution und (2) die Gestalt der Variation wurden durch Fisher (1930) nicht grundlegend korrigiert, sondern übernommen (1) oder nur oberflächlich angepasst (2). Als Ursache dieser unzureichenden Selbstkorrekturfähigkeit der Evolutionsbiologie können soziale Einflüsse vermutet werden. Insofern waren nicht die Hypothesen der Mutationisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Ausdruck einer Krise der Evolutionsbiologie, sondern Elemente der Synthetischen Theorie der Evolution, die erst beginnend mit den 60er Jahren überwunden werden konnten. Diese Thesen werden am Lenski’schen Langzeit-Evolutionsexperiment erläutert.

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Dr. Veiko Krauß
Koordinator Bachelor-Programm “Quantitative Biologie”
Excellence Cluster CEPLAS
Geb. 25.43, Ebene 01, Raum 37
Universitätsstraße 1
D‑40225 Düsseldorf
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Veiko.Krauss@uni-duesseldorf.de

Jörg Pittelkow (Jena): Quellenwert der Akten des DDR-Staatssicherheitsdienstes für die Wissenschaftsgeschichte

Der Beitrag will auf das Potential des mit einem Umfang von etwa 111 Kilometern Akten nicht unerheblichen Archivs der Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der DDR gerade auch für die wissenschaftsgeschichtliche Forschung hinweisen. Der Bestand erweist sich nicht nur als eine Dokumentation von mehr als 40 Jahren ostdeutschen Alltags, sondern vermag immer wieder Lücken in den Überlieferungen anderer Archive zu schließen. Gemäß ihrer Aufgaben war das Wirken der Staatssicherheit, die Geheimdienst und politische Polizei zugleich war, und ihr hinterlassenes Schriftgut vor allem personenorientiert. Neben den sich ergebenden biographischen Zugängen, geben die daneben bestehenden sachbezogenen Unterlagen Hinweise auf die Bedeutung, die einzelnen Forschungsrichtungen seitens des Staates zugemessen wurde. Zugleich kann der Frage nachgegangen werden, inwieweit der Staatssicherheitsdienst tatsächlich im Sinne eines externen Faktors Einfluss auf die Genese von Disziplinen und wissenschaftlichen Einrichtungen genommen hat.

Wolfgang Beese (Erfurt): Die Marginalisierung der Naturwissenschaften an Thüringer Gymnasien – oder das Verhindern von Emergenz

Vor etwa zehn Jahren begann man in Thüringen das Gymnasium zu reformieren. Merkwürdigerweise erst die Oberstufe, mit einem zumindest nicht unumstrittenen Ergebnis und dann die Sekundarstufe I. Anlass genug, das vorläufige Ende eines Prozesses zu betrachten, der sich als “Marginalisierung der Naturwissenschaften” beschreiben lässt.

Zu befürchten ist, dass sich das gegenwärtig noch gute Abschneiden Thüringer Schüler bei nationalen Vergleichstests des in Rede stehenden Fächerkanons künftig nicht mehr realisieren lässt. Dazu einige Thesen:
1. Der Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern Biologie, Physik und Chemie wird zunehmend marginalisiert.
2. Die Reduktion der Wochenstunden trifft gerade das Unterrichtsfach Biologie in unverhältnismäßiger Weise. Angesichts der Bedeutung der Biologie ist das eine Perversion.
3. Wer die Aneignungsmöglichkeiten biologischen Wissens, der Konstrukte und Theorien in der beabsichtigen Weise beschneidet, verkennt die Bedeutung der Biologie für die Enkulturation, Sozialisation und Personalisation von Kindern und Jugendlichen.
4. Die pseudo-interdisziplinären Zugriffe wie “MNT” und “Naturwissenschaften und Technik” sind kein geeignetes Substitut für Unterricht in den Fächern Biologie, Physik und Chemie. Es ist Unterricht ad libitum, fernab von fachdidaktischen Gestaltungsprinzipien und ohne bildungstheoretische Legitimation.
5. Die De-Systematisierung naturwissenschaftlichen Unterrichts unterstellt vermutlich ein romantisierendes und naives Verständnis von Wissenschaft. Sie ist absolut unzeitgemäß und widerspricht zudem tradierten Erkenntnissen aus Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsphilosophie.
6. Der Einwand aus der Sicht von Lernpsychologie und Epistemologie wiegt am schwersten: Die Reduktion von Unterricht in Fachdisziplinen reduziert die Emergenz von stringenten Vorstellungen.

Kerstin Palm (Berlin): Was könnte Genderforschung zur Fachdidaktik der Biologie beitragen?

Die Genderforschung beschäftigt sich seit ihrer akademischen Etablierung in den 1970er Jahren intensiv mit den historischen und aktuellen Geschlechtertheorien der biologischen Forschung. Dem inzwischen daraus entspringenden umfangreichen Kenntnisstand und deren hoher Relevanz für ein Problembewusstsein und gesellschaftliche Verantwortung in den Naturwissenschaften steht aber eine bisher nur sehr spärliche Rezeption in den einschlägigen Publikationen und Lehrbüchern der Biologiedidaktik gegenüber.

Der Beitrag untersucht den aktuellen Stand und die Hintergründe dieser mangelnden Berücksichtigung von Genderwissen in der biologischen Fachdidaktik und zeigt die Relevanz und die Möglichkeiten und Chancen einer gendertheoretisch informierten Fachdidaktik der Biologie auf.

Clemens Hoffmann (Jena): Fächerübergreifender naturwissenschaftlicher Unterricht aus Sicht der Lehramtsstudierenden

Das QLb-Projekt ProfJL (Professionalisierung von Anfang an im Jenaer Modell der Lehrerbildung) bildet an der Friedrich-Schiller-Universität Jena den Rahmen für die Anpassung der universitären Lehramtsausbildung an die aktuelle Situation des naturwissenschaftlichen Unterrichts in Thüringen. Mit der Einführung der Fächer Mensch-Natur-Technik (Klassenstufe 5/6) und Naturwissenschaften und Technik (Klassenstufe 9/10) ergibt sich für Lehrkräfte der Disziplinen Chemie, Physik und Biologie die Anforderung auch fächerübergreifenden bzw. integrierten Unterricht zu gestalten. Um Lehramtsstudierende auf diese Anforderungen vorzubereiten, wurde ein Ausbildungsmodul entwickelt. Neben ersten, exemplarischen Zugängen zu fachfremden und fächerübergreifenden Inhalten stehen vor allem die Kooperation der Studierenden und ihrer unterschiedlichen Fachdisziplinen, sowie deren Vorstellungen von der Natur der Naturwissenschaften (auch Nature of Science) im Mittelpunkt. Im Vortrag wird das Forschungsprojekt vorgestellt, welches neben der Modulentwicklung und ‑erprobung auch die wissenschaftliche Begleitung und erste Ergebnisse daraus beinhaltet. Dabei wird betrachtet, wie Studierende fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht und ihre persönliche Eignung für diese Form des Unterrichtens einschätzen. Zusätzlich wird beleuchtet, welche Auffassung Sie von der Natur der Naturwissenschaften haben. Dazu kamen neben quantitativen auch qualitative Erhebungsmethoden zum Einsatz. Angemessene, reflektierte Vorstellungen in diesem Bereich stellen ein wichtiges Merkmal von Lehrpersonen im naturwissenschaftlichen Unterricht dar.

Luise Knoblich (Jena): „Natur und Technik – Kooperation oder Konkurrenz?

Ein Blick auf die Lebenswelt der Schüler im 21. Jahrhundert lässt ein Ungleichgewicht des Stellenwertes von Natur und Technik erkennen: Während „Neue Medien“ (digitale Informationsträger) täglicher Begleiter sind, ist der Gang in die Natur selten. Um die derzeit fehlenden essenziellen Naturerfahrungen nach- bzw. aufzuholen, erscheint es vor dem Hintergrund der Interessenorientierung zeitgemäß, „Neue Medien“ am Beispiel von Smartphones und Tablets als Unterrichtsmittel im Biologieunterricht einzusetzen. Um Schüler gleichzeitig für das aktuelle globale Problem des Biodiversitätsverlustes zu sensibilisieren, bieten insbesondere außerschulische Lernorte ein hohes didaktisches Potenzial. Die dort realisierbare Bildung gilt als essenzielle Voraussetzung für den beabsichtigten Biodiversitätsschutz.

Im Vortrag wird eine Möglichkeit aufgezeigt, um einerseits die Bereiche Biologie und Bildung sowie andererseits die Bereiche Natur und Technik auf innovative Art und Weise miteinander zu verbinden. Damit kann ein Beitrag nicht nur zur Umweltbildung als Bestandteil einer umfassenden naturwissenschaftlichen Grundbildung (Scientific Literacy), sondern auch zur Medienbildung geleistet werden.

Grundlage bilden Schülerprojekte, die mit Fokus auf Handlungsorientierung geplant, durchgeführt und evaluiert wurden. In diesem Zusammenhang sollen folgende Fragen beantwortet werden: „(Wie) gelingt die Verknüpfung von Natur und Technik?“, „Können ‚Neue Medien‘ Naturerfahrungen ermöglichen?“, „Können ‚Neue Medien‘ zum Naturschutz motivieren?“, „Hat sich die Kombination von unterschiedlichen Unterrichtsmitteln, insbesondere der Einbezug von lebenden Organismen und ‚Neuen Medien‘ bewährt?“. Erprobte Praxisbausteine werden interaktiv präsentiert und zur Diskussion gestellt.

Kontakt
Luise Knoblich
Arbeitsgruppe Biologiedidaktik Institut für Zoologie und Evolutionsforschung
Fakultät für Biowissenschaften Friedrich-Schiller-Universität Jena
Am Steiger 3, Bienenhaus, R. E007
07743 Jena
Tel.: 03641/949496
Mail: luise.knoblich(at)uni-jena.de

Roy Bäthe (Erfurt): Die Zooschule des Thüringer Zooparks Erfurt

Tier- und Artenschutz ist enorm wichtig. Die Natur wird minütlich ärmer. Aber, um dieser Aufgabe im richtigen Maß gerecht zu werden, bedarf es eines fundierten Wissens. Zoologische Gärten können durch ihren außergewöhnlichen Tierbestand und ihre Fachkenntnis hierbei einen enormen Beitrag leisten. Der Zoopädagogik kommt somit ein sehr hoher Stellenwert zu. Am Beispiel der Erfurter Zooschule wird erläutert, was eine Zooschule leisten kann, welche Aufgaben sie hat und, wo ihre Grenzen sind.

Simone Ehret (Heidelberg): Wahrnehmung von Wildtieren bei Kindern. Eine Fallstudie

Forschungsziele: Ziel der Untersuchung ist es, die Bedeutung der Natur im Kontext der Entwicklungspsychologie sowie der kognitiven Entwicklung des Kindes herauszustellen. Außerdem soll die Relevanz der beschriebenen Ethogramm-Methode anhand der Graugans für den Biologieunterricht untersucht werden. Die Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, welche Kompetenzen neben Fachkompetenz im Zusammenhang mit dem Biologieunterricht gefördert werden können und wichtig sind. Ein Vergleich mit anderen naturpädagogischen Methoden wird angestrebt. Die Studie setzt sich auch mit der biologischen Bildung heutiger Kinder in Deutschland auseinander.

Forschungsgegenstand: In der heutigen Zeit nimmt der Umgang mit Medien privat wie an Schulen zu. Weiterhin verändert sich auch der Arbeitsmarkt dahingehend, sodass Kinder immer weniger die Vorzüge der Natur und Biologie kennenlernen. Die Verhaltensbiologie reicht weit zurück in der Geschichte der Biologie, von Charles Darwin bis hin zu Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen. Diese Inhalte werden wenig an Schulen vermittelt. In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob die Methode einer Verhaltensbeobachtung Relevanz für den Biologieunterricht hat. Als interdisziplinäre Schnittstelle soll mit der Ethogramm-Methode überprüft werden, ob biologisches Bewusstsein sowie Interesse für die Natur schon bei Kindern geweckt und entwickelt werden kann. Denn es ist erforderlich, dass unsere zunehmende Bevölkerung lernt, wieder den Wert der Natur zu erkennen, um nachhaltig in einer genießbaren Umwelt zu leben, die zum Wohlbefinden des Menschen beiträgt.

Methode: Kinder erstellen ein Ethogramm anhand der Graugans. Sie versuchen zu lernen, das Verhalten eines Tieres zu verstehen. Hier ergibt sich die Frage, ob Kinder diesen Erkenntnisprozess durchmachen. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Wahrnehmung, um das Verständnis für die Natur festzustellen. Hierbei schreiben die Kinder das Verhalten, das ihrer Meinung nach vollständig ist auf und definieren es selbst. Die Beobachtung wird fotografisch dokumentiert. In einer anschließenden Gruppendiskussion werden die wesentlichen Ergebnisse anhand von Fotos und den Ethogrammen besprochen, um zu überprüfen, ob die Gruppe zu anderen Ergebnissen kommt als Kinder in der Einzelarbeit. Die Gruppenbesprechung wird auf Tonband aufgenommen.

Stand des Forschungsprojekts: Das Dissertationsprojekt wurde im November 2017 an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg angenommen. Erste Daten werden im Frühjahr/Sommer 2018 aufgenommen, sodass der Zeitpunkt der Tagung im Daten-Erhebungszeitraum liegt. Erste Daten werden vorgestellt.

Kontakt
Simone Ehret, M.Sc.
Pädagogische Hochschule Heidelberg
INF 561
69120 Heidelberg
Tel: (0176) 50 98 70 90
E‑mail: ehret.simone(at)gmx.de

Andreas Raith & Sandra Tänzer (Erfurt): Die Bedeutung der Biologie als Bezugswissenschaft der Sachunterrichtsdidaktik aus der Perspektive von Scientific Literacy

Die Rolle, die Wissenschaften in der Grundschule spielen sollen, wird bereits seit mehr als 50 Jahren diskutiert. Angefangen mit der Frage, wie wissenschaftlich die Ausbildung von Grundschullehrern sein muss, bis zur Frage, wie weit eine wissenschaftliche Ausrichtung sich in den Unterrichtsinhalten wiederfinden soll. Dies betrifft auch biologische Unterrichtsinhalte und die Art, wie sich Grundschulkinder diesen nähern sollen. Historisch war diese Entwicklung durch ambitionierte Ideen, aber auch durch Ernüchterung gekennzeichnet. Aktuell entwickelt sich ein neues Hoch der Wissenschaftlichkeit in der Grundschule, das durch Begriffe wie „Scientific Literacy“ und „Forschendes Lernen“ gekennzeichnet ist. Dieser Vortrag stellt die Rolle der Biologie als Wissenschaft in der Sachunterrichtsdidaktik im Kontext von Scientific Literacy heraus. Dazu wird eine eigene aktuelle Studie zum Naturkontakt auf naturnah gestalteten Schulhöfen vorgestellt, die Naturkontakt und Zugangsweisen zur Natur von Kindern und Jugendlichen abbildet. Grundschulkinder kommen dabei wesentlich häufiger informell in Kontakt mit der Natur, dieser Naturkontakt führt aber meist nicht zu zielgerichteten Auseinandersetzungen mit biologischen Phänomenen. Im Jugendalter bricht der informelle Naturkontakt ein und soziale Interessen überwiegen. Damit kommt Natur in der Lebenswelt von Grundschulkindern noch häufiger auf eine „natürliche“ Weise vor, die bei Jugendlichen vermehrt künstlich hergestellt werden muss. Anhand aktueller Theorien des naturwissenschaftlichen Lernens (Conceptual Change) kann gezeigt werden, wie bedeutsam deshalb biologische Unterrichtsinhalte aus der Lebenswelt der Kinder bei der Grundlegung erster naturwissenschaftlicher Denkmuster sind.

Alexandra Porges & Karl Porges (Weimar/Jena): Biologische Themen für einen inklusiven Unterricht

Am 13. Dezember 2006 verabschiedete die Generalversammlung der United Nations Organization (UNO) das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Deutschland unterzeichnete in New York am 30. März 2007 und erkannte damit nicht nur das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung an, sondern verpflichtete sich auch ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten. Diese politische Verpflichtung fordert den gemeinsamen Unterricht von Kindern aus verschiedenen Bildungsgängen. Die Auseinandersetzungen in der Unterrichtspraxis offenbaren jedoch vielfältige noch ungelöste Probleme.

Aus den Überlegungen von Erziehungswissenschaftlern wie Wolfgang Klafki (1927 – 2016), Georg Feuser und Reinhard Kutzer (1937 – 2001) konkretisierte die Thüringer Forschungs- und Arbeitsstelle für gemeinsamen Unterricht unter der Leitung von Ada Sasse und Ursula Schulzeck für die Lehrerkräfte eine Differenzierungsmatrix als Planungshilfe. Ihr Einsatz im Unterricht ermöglicht es, Lehrplaninhalte für heterogene Adressatengruppen didaktisch-methodischen angemessen aufzubereiten.

Ziel des Vortrages ist es, in aktueller Perspektive an konkreten biologischen Inhalten die Anwendung dieser Vorgehensweise, ihre Möglichkeiten und Grenzen für die Unterrichtsgestaltung zu diskutieren. Der Fokus liegt dabei bildungsgang- und schulartübergreifend auf den Fächern Heimat- und Sachkunde (Primarstufe) sowie Mensch-Natur-Technik und Biologie (Sekundarstufe). Neben Lehrplanthemen wie Vögel, Nutztiere und Sinne des Menschen werden auch Überlegungen zu komplexen Themen wie Sexualkunde und Evolutionsbiologie vorgestellt. Ferner wird u. a. am Beispiel der Evokids-Boxen auf geeignete Materialien fokussiert und Varianten diskutiert, diese für ein inklusives Bildungssetting, für verschiedene Jahrgänge und Bildungsgänge zu modifizieren.

Stefan Nessler (Heidelberg): Evolution aus Sicht der Sprachdidaktik – Korpuslinguistische Analyse von Lehrmaterial zur Spezifizierung sprachlicher Schwierigkeiten

Gute Sprachkompetenzen sind eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Bildungsintegration, da ohne ausreichende Sprachkenntnisse des Deutschen eine erfolgreiche Teilhabe am (Fach)Unterricht nicht umzusetzen ist. Gerade neu zugewanderte Jugendliche als auch SchülerInnen (SuS) aus sozial benachteiligten deutschsprachigen Haushalten bringen sprachlich als auch fachlich sehr heterogene Voraussetzungen mit (Morris-Lange et al. 2016). Diese SuS stellen für (Fach)Lehrkräfte in Regelklassen jetzt und in Zukunft besondere Herausforderungen dar.

Deswegen möchte ich Lehrmaterialien zum Thema Evolution linguistisch analysieren und für Fachlehrkräfte der Biologie nach sprachdidaktischen Kriterien für sprachsensiblen Fachunterricht aufarbeiten. Dafür werden die Materialien mit der Methode der korpuslinguistischen Analyse (Lemnitzer & Zinsmeister 2015) auf lexikalisch-semantische und syntaktische Merkmale des Deutschen untersucht, welche für das Lernen von Fachinhalten potentiell Schwierigkeiten bereiten können.

Dabei ist ein Ziel die Zusammenstellung von Kriterien für sprachliche Schwierigkeiten anhand derer Fachlehrkräfte einschätzen können, welche Herausforderungen für die SuS themenspezifisch auftreten und wie diese im Unterricht berücksichtigt werden können. Des Weiteren werden themenspezifische Fachtermini herausgearbeitet und in Bezug auf ihre Komplexität für Lerner des Deutschen als Zweitsprache und sprachschwache SuS beleuchtet.

Marcus Hammann & Mario Kötter (Münster): Epistemische Kompetenz – Wissenschaftsreflexion im naturwissenschaftlichen Unterricht

Naturwissenschaftliche Perspektiven spielen in zahlreichen lebensweltlichen Diskursen eine zentrale Rolle. Hierbei wird nicht nur über die meist technologischen Folgen, sondern auch grundlegend über Reichweite und Grenzen der Naturwissenschaften gestritten.
Beispiele für Kontroversen, in denen neben Fragen fachlicher Korrektheit vor allem auch Aussagemöglichkeiten und Deutungshoheit der Naturwissenschaften eine Rolle spielen, sind die gegenwärtige Polemik um die Wissenschaftlichkeit der Gender-Forschung, der Eklat um die Anwendung biologischer Konzepte zu Fortpflanzungsstrategien auf den Menschen, aber auch der Diskurs um die Folgerungen neurowissenschaftlicher und evolutionspsychologischer Erkenntnisse für unser Selbstbild, etwa Konzeptionen des freien Willens.
Gegenwärtig trägt Biologieunterricht in Deutschland wenig dazu bei, dass Personen derartige Diskurse einordnen, geschweige denn begründet Stellung nehmen können.

International herrscht Einvernehmen darüber, dass Verständnis der Natur der Naturwissenschaften (NOS) als Bedingung für naturwissenschaftliche Grundbildung, zu den zentralen Zielen naturwissenschaftlichen Unterrichts gehört. Dass Reflexion über Naturwissenschaft bedeutsam ist, wird auch in der deutschsprachigen Naturwissenschaftsdidaktik grundsätzlich akzeptiert.
Dennoch handelt es sich, wie Arne Dittmer (2006) formuliert hat, bis heute um einen Bereich „am Rande des Faches“. Dies gilt für die Wahrnehmung durch die Lehrkräfte und den Stellenwert in der Lehramtsausbildung, aber auch auf curricularer Ebene. Hinzu kommt, dass curriculare Vorgaben unterrichtliche Wirksamkeit voraussichtlich nur dann entfalten, wenn Fähigkeiten im Rahmen von Abschlussprüfungen auch eingefordert werden. Dies ist derzeit nicht der Fall.

Wir schlagen vor die reflexive, insbesondere die erkenntnistheoretische und historische Perspektive in den Curricula des Faches Biologie (und der Naturwissenschaften insgesamt) zu stärken, indem ein Kompetenzbereich Reflexion ausgewiesen wird. Ein Strukturmodell epistemischer Kompetenz wurde als transdisziplinärer Ansatz in Zusammenarbeit mit der Philosophiedidaktik entwickelt. Zudem stellen wir mögliche Aufgabenformate im Bereich reflexiver Kompetenz vor.

Dittmar Graf (Gießen): Evolutionsunterricht in Deutschland – aktuelle Entwicklungen und historische Rückschau

Die wissenschaftliche Tatsache der Evolution und die Evolutionstheorie bilden das Rückgrat der Biologie. Sie bilden die vereinigende Erklärung aller biologischen Phänomene. Wer Evolution nicht begreift, kann auch Biologie nicht verstehen. Dieser eminenten Bedeutung der Evolution wird seit Mitte des letzten Jahrhunderts an deutschen Hochschulen und im Biologieunterricht nur bedingt Rechnung getragen. Dies kann als unmittelbare Folge des ideologischen Missbrauchs durch die Nationalsozialisten angesehen werden. Typischerweise wurde und wird „Evolution“ im Biologieunterricht erst als Abschlussthema unterrichtet. Wissen und konzeptuelles Verständnis halten sich bei vielen Abiturienten und Abiturientinnen in engen Grenzen. Dies wird im Vortrag an einigen Beispielen belegt.

Weiterhin soll versucht werden, die Entwicklung des Evolutionsunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland anhand von Schulbuchanalysen nachzuvollziehen. Im Schwerpunkt soll auf zwei aktuelle Initiativen eingegangen werden, die versuchen, sowohl den schulischen Evolutionsunterricht als auch die universitäre Ausbildung von Studierenden der Biologie zu reformieren und neu aufzustellen:

  1. Die Initiative der Leopoldina: Evolutionsbiologische Bildung in Schule und Hochschule
  2. Das Projekt „Evokids“, dessen Ziel darin besteht, Unterrichtsmaterial zum Thema für die Grundschule zu entwickeln und „Evolution“ im Sachunterricht der Primarstufe zu etablieren.