Biologinnen und Biologen werden in einem besonderen Ausbildungsprozess für ihre Tätigkeit sozialisiert. Dabei spielen Methoden und Denkstile eine wesentliche Rolle. Diese werden u.a. in wissenschaftlichen Schulen, die durch herausragende Forscherpersönlichkeiten geprägt werden, vermittelt und weitergegeben. Auf diese Weise entstehen Traditionen, die sich mit Einrichtungen und Forscherkollektiven verbinden. Der Band behandelt die Auswirkungen von Schulen und Traditionssetzungen im Forschungs- und Ausbildungsprozess und bemüht sich insbesondere, die entsprechenden Karrierevorteile, aber auch die mit entsprechenden Schulbildungsprozessen verbundenen Risiken und Konfliktpotentiale an Beispielen und strukturellen Überlegungen deutlich zu machen.
Wissenschaft und Politik werden im Allgemeinen als deutlich getrennte Bereiche aufgefasst – und das vor allem auch durch die jeweiligen Akteure. Das gilt scheinbar auch für die Lebenswissenschaften und die Politik. Die Wissenschaftsgeschichte – und hier vor allem auch die Historie der Biowissenschaften – zeigt jedoch, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einerseits sehr wohl die besonderen Ressourcen der Politik für ihre Forschungsanstrengungen mobilisieren können und dazu verschiedene Strategien zur Anpassung einsetzen. Andererseits sind Politikerinnen und Politiker immer wieder in der Lage, ihrerseits Forschungsressourcen für ihre politischen Ziele und Vorstellungen zu nutzen, öfter sogar zu instrumentalisieren. Der Band verdeutlicht dies an Beispielen aus verschiedenen Epochen unter sehr unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen. Er zeigt, dass die Beziehungen von Lebenswissenschaften und Politik weit komplizierter sind, als es z.B. gängige Einschätzungen von Indienstnahme oder Missbrauch der Wissenschaften durch diktatorische Regime nahelegen.
Inhalt
Michael Kaasch, Joachim Kaasch & Torsten K. D. Himmel Vorwort | S. 7 |
Teil 1: Denkstile und Schulenbildung in der Biologie. Beiträge zur 22. Jahrestagung in Gießen 2013 | |
Michael Kaasch, Joachim Kaasch & Torsten K. D. Himmel Denkstile und Schulenbildung in der Biologie – Einleitung | S. 11 – 17 |
Hermann Josef Roth Scholastiker und Biologen – Naturforscher im Zwiespalt von Glaube und Wissen | S. 19 – 42 |
Rudolf Hagemann, unter Mitwirkung von Thomas Börner und Ralph Bock Die wissenschaftliche Schule des Plastidengenetikers Erwin Baur | S. 43 – 67 |
Michael Kaasch Von den Schwierigkeiten, eine Tradition weiterzuführen – Die Botanik an der Universität Leipzig nach 1945 | S. 69 – 97 |
Brigitte Albers Anna Gisela Johnen und die Entwicklungsphysiologie an der Universität Köln – Eine Erinnerung | S. 99 –113 |
Michael Schmitt Die Ausbreitung der Phylogenetischen Systematik von Willi Hennig im deutschen Sprachraum von 1950 bis 1976 | S. 115 – 125 |
Albrecht Meinel Wissenschaftliche Beiträge des Pflanzenzüchters Wilhelm Rimpau zu Blütenbiologie und Vererbungsforschung im 19. Jahrhundert | S. 127 – 137 |
Bernd Rosslenbroich Gegensatz und Synthese von Denkstilen am Beispiel der Evolutionstheorie | S. 139 –149 |
Hansotto Reiber Genetisches Programm und Selbstorganisation stabiler Form. Die zwei Hirnhälften und Jahrtausende Koexistenz kontroverser Sicht der Welt | S. 151 – 178 |
Teil 2: Biologie und Politik. Beiträge zur 23. Jahrestagung in Bonn 2014 | |
Michael Kaasch, Joachim Kaasch & Torsten K. D. Himmel iologie und Politik – Einleitung | S. 181 – 185 |
Michael Morkramer Zwischen Freiheit der Wissenschaft und weltanschaulicher Bestimmung. Hermann Müllers Kampf um die Wahrheit | S. 187 – 198 |
Kevin Liggieri Eugenik und Pädagogik. Zu Ellen Keys pädotechnischem Programm | S. 199 – 220 |
Sonja Walch Die optimierte Leistungsträgerin. Eugen Steinachs Sexualhormonforschung und ‑therapien 1910 – 1925 | S. 221 – 240 |
Lisa Garweg und Frank Leimkugel Der österreichisch-brasilianische Pharmakognost Richard Wasicky und das “Office Autrichien” 1940 | S. 241 – 257 |
Martin Winterhalder Gehirn und Subjekt in der Neuropsychologie Kurt Goldsteins | S. 259 – 271 |
Michael Kaasch “Ich bin der Meinung, daß die Lage sehr ernst ist …” (Mothes an Ulbricht 1958) – Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik am Beispiel des Botanikers und Leopoldina-Präsidenten Kurt Mothes | S. 273 – 309 |
Igor J. Polianski Die roten Frankensteins. Organtransplantation und Wissenstransfer im Kalten Krieg | S. 311 – 322 |
Achim Trunk Im Wettkampf mit Amerika: Denkschriften aus dem 20. Jahrhundert zur Lage der Biologie in Deutschland | S. 323 – 348 |
Hans-Peter Ziemek “Dann hebt wi hier de ganzen Negers und de annern Lüd” – Einblicke in die politischen und kulturellen Auseinandersetzungen um den Naturschutz im Wattenmeer nach 1945 | S. 349 – 261 |
Dirk Thomaschke “Direct information about the embryo”: Humangenetik in den 1970er Jahren in Deutschland und Dänemark | S. 363 – 379 |
Alban Frei Unternehmen Wissenschaft. Forschung, Biotechnologie und die Schweiz um die Jahrtausendwende | S. 381 – 393 |
Personenregister | S. 395 – 405 |