Das Jahrbuch für Geschichte und Theorie der Biologie hatte mit seinem ersten Band einen guten, auch von uns trotz großem Optimismus in dieser Weise nicht erwarteten Einstand. Dies ermöglicht es uns, in Zukunft das Jahrbuch inhaltlich so zu gestalten, dass es ein eigenständiges, Positionen markierendes Profil gewinnt.
Das Jahrbuch wurde von uns, zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie, geplant als ein Periodikum, das zum einen mit jedem Band einen thematischen Schwerpunkt haben soll; das zum anderen aber auch zur Verfügung stehen soll für biologiehistorische und wissenschaftstheoretische Arbeiten, die für eine eigenständige Publikation zu kurz, für die Veröffentlichung in einer Zeitschrift aber zu umfangreich sind. Schließlich soll drittens das Jahrbuch den Abdruck von hervorragenden Dissertationen ermöglichen, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs gerade in dem institutionell doch eher stiefmütterlich behandelten Fach der Biologie-Geschichte eine bessere Startchance zu geben.
Der hiermit vorliegende zweite Band erfüllt die selbst gesetzten Ziele sicherlich noch nicht ganz. Aber gerade die beiden großen Essays von Ernst Florey über Mesmer und den Mesmerismus (hervorgegangen aus dem öffentlichen Abendvortrag anlässlich der 2. Jahrestagung der DGTTB 1993 in Konstanz), von Reinhard Mocek zur “Biologie der Befreiung” enthüllen überraschende Beziehungen und Einflüsse über die Wirkungen der Lehre von Mesmer in unterschiedlichsten kulturellen Traditionen im 19. Jahrhundert, die so u. E. noch nicht thematisiert wurden und sicherlich Anregungen geben können für weitere Forschungen.
In unterschiedlicher Weise stellen auch die Aufsätze von Ekkehard Höxtermann, Andreas Eisenhauer und Mathias Gutmann & Tobias Voss Diskussionsaufforderungen dar. So ist es in der biologiegeschichtlichen Forschung immer noch ein dringend zu bearbeitendes thematisches Feld, die wechselseitigen Beeinflussungen von Biologie und Politik, die politischen Metaphern in der Biologie und umgekehrt die biologischen Metaphern in der Politik sowie die Konsequenzen einer solchen Metaphorik aufzuhellen; der Beitrag von Eisenhauer zu Driesch gibt hierzu erste Hinweise. Aber auch die methodische Selbstreflexion der Biologiegeschichte, der Versuch zu bestimmen, wie heute Biologiegeschichte zu verfahren habe, ist in der bundesrepublikanischen Biologiegeschichte immer noch keine Selbstverständlichkeit. Der Beitrag von Höxtermann mit dem Vorschlag einer am Detail und der Region orientierten Geschichtsschreibung setzt die Bemühungen fort, die in dem ersten Band des Jahrbuches mit den Beiträgen von Hans-Jörg Rheinberger und Thomas Junker begonnen wurden. Schließlich diskutieren Gutmann und Voss in ihrem Artikel eine biotheoretische Konzeption, die im angelsächsischen Sprachraum gut bekannt, im deutschen Sprachraum dagegen leider noch immer unbeachtet ist. Der strukturalistische Ansatz, den die beiden Autoren vorstellen, verdient aber allein schon deshalb großes Interesse, weil in ihm biotheoretische und biologiehistorische Fragestellungen gemeinsam zum Zuge kommen und somit deutlich wird, dass in der aktuellen biotheoretischen Diskussion biologiehistorische Rekonstruktionen unabdingbar sind.
Bei den Beiträgen von Gutmann & Weingarten, Danailov, Kolchinsky, Maurer, Müller-Wille, Ball und Dierig handelt es sich um Beiträge der 3. Jahrestagung der DGGTB 1994 in Koblenz; sie dokumentieren die Bandbreite der Themen, die anlässlich der Jahrestagungen der Gesellschaft verhandelt werden. […]
Inhalt
Vorbemerkung | S. 5 – 6 |
Mathias Gutmann & Michael Weingarten Die Struktur des systemtheoretischen Arguments | S. 7 – 15 |
Atanas Danailov Der philosophische Hintergrund der biotheoretischen Forschung von August Weismann | S. 17 – 22 |
Eduard Kolchinsky The evolution of the biosphere. The facts and the hypothesises in the works by russian scientists | S. 23 – 28 |
Margarete Maurer Zum Konzept einer kritischen Theorie der Biowissenschaften | S. 29 – 40 |
Steffan Müller-Wille Linneaus concept of a “symmetry of all parts” | S. 41 – 47 |
Rafael Ball Frühe Untersuchungen zum Verhältnis von Struktur und Funktion im Photosyntheseapparat am Beispiel der Quantasomentheorie | S. 49 – 59 |
Sven Dierig Aus der Vorgeschichte der Gliahistologie: Vom “Zellgewebe” Albrecht von Hallers zum “Nervenkitt” Rudolf Virchows | S. 61 – 71 |
Ekkehard Höxtermann Über eine “Schädigung geistiger Kräfte” im 18. Jahrhundert und über zufällige Spuren thüringischer Naturforscher – Plädoyer für eine Geschichte der Details und der Region | S. 75 – 88 |
Ernst Florey Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Animalischen Magnetismus | S. 89 – 132 |
Reinhard Mocek “Biologie der Befreiung”. Zur Geschichte der proletarischen Rassenhygiene | S. 133 – 180 |
Andreas Eisenhauer Politische Biologie? | S. 181 – 194 |
Mathias Gutman & Tobias Voss The disappearance of Darwinism – oder: Kritische Aufhebung des Strukturalismus |