Die Biologie scheint sich in zunehmendem Maße zu einer Leitwissenschaft zu entwickeln. Durch ihre experimentellen Fortschritte und die dadurch ermöglichten Technologien konnte sie sich eine Vormachtstellung in Wissenschaft und Alltag erobern. Allerdings stellen uns diese Technologien auch vor schwierige ethische Probleme neuer Art. Bio- und Gentechnologien haben viele unserer selbstverständlichen Grundannahmen über die Natur und den Menschen in Frage gestellt. Daher erschöpft sich eine Bioethik nicht darin, lediglich “angewandte” Ethik zu sein, sondern sie umfaßt auch die naturphilosophische, anthropologische und historische Dimension. Verbunden noch mit der Ökologie-Problematik führt uns dies in die Theorie und Geschichte von Biologie und Philosophie. Frühere Auffassungen über den Menschen und seine Natur sowie die darauf begründeten Ethiken und politischen Programme fordern unsere kritische Reflexion heraus. Können wir aus der Geschichte lernen, um die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden, oder stellt sich die Situation heute unvergleichbar neu dar?
Der vorliegende Sammelband ist aus der 6. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie hervorgegangen, die vom 26. bis 29. Juni 1997 zum Thema “Ethik der Biowissenschaften: Geschichte und Theorie” an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen stattfand.
Inhalt
Eve-Marie Engels Vorwort | S. 5 – 6 |
Thomas Junker Eugenik, Synthetische Theorie und Ethik. Der Fall Timoféeff-Ressovsky im internationalen Kontext | S. 7 – 40 |
Kristian Köchy Organologische versus mechanistische Bioethik. Über spezifische ethische Programme bei verschiedenen Lebenstheorien | S. 41 – 60 |
Rolf Löther Evolution der Biosphäre und Ethik | S. 61 – 68 |
Thomas Potthast Evolution als Naturschutzziel? Evolutionstheorie, Natur und Ethik in analytischer und utopischer Perspektive | S. 69 – 84 |
Uta Eser Ökologie und Ethik: ökologische und normative Grundlagen von Naturschutzbewertungen am Beispiel der Neophytenproblematik | S. 85 – 98 |
Volker Schurig Der Wertewandel in der Naturschutzethik am Beispiel mitteleuropäischer Nationalparkgründungen | S. 99 – 112 |
Jan Janko Die eugenische Bewegung in der Tschechoslowakei | S. 113 – 122 |
Dorothee Früh Humangenetische Forschung in Deutschland zwischen 1900 und 1914 | S. 123 – 130 |
Werner Sohn Zwischen Ethik und Genetik – Eugenik im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik | S. 131 – 142 |
Franz Kohl Die eugenische Diskussion innerhalb der Neuropsychatrie und ihre Vorreiterrolle für die Einführung der Sterilisationsgesetzgebung in den Jahren 1933/34 | S. 143 – 160 |
Armin Geus Brotzeit vom Gefängnisarzt – Die experimentelle Übertragung von Bandwurmfinnen auf den Menschen | S. 161 – 170 |
Michael Kaasch “… auf die bewusste Betonung des Ethischen geworfen.” Emil Abderhalden und seine Zeitschrift Ethik | S. 171 – 188 |
Heike Barantzke Grenzprobleme der Tierpsychologie und Entwicklungsbiologie bei dem Zoologen Erich Wasmann S.J. (29. 5. 1859 – 27. 2. 1931) | S. 189 – 202 |
Horst Heinecke Anordnungen und Erlasse für die Durchführung von Tierversuchen an deutschen Universitäten und Hochschulen um die Jahrhundertwende | S. 203 – 216 |
Atanas Danailov Die ideologische Interpretation des Weismannschen Neodarwinismus | S. 217 – 224 |
Eduard I. Kolchinsky Biologists and the Ethics of science During Early Stalinism | S. 225 – 234 |
Torsten Rüting Von Paulus zu Pawlow: Rußllands “Neue Menschen”, die “Dekade des Gehirns” und die Kontinuität christlicher Ethik bis in die sowjetischen Neurowissenschaften | S. 235 – 260 |
Eva M. Neumann-Held Jenseits des genetischen Weltbildes | S. 261 – 280 |
Claudia Sanides-Kohlrausch Konkurrierende Gene und konkurrenzfähige Organismen. Eine Einführung in die ökologisch orientierte Darwinismustradition der Soziobiologie | S. 281 – 302 |
Annette Barkhaus Zur Frage der Reichweite einer biologischen Fundierung ethnozentrischen und rassistischen Verhaltens | S. 303 – 318 |
Eve-Marie Engels Ethik und biologische Utopie | S. 319 – 340 |
Rainer Brömer Arabische und islamische Wissenschaftskultur im 19. und frühen 20. Jahrhundert und die Rezeption der Darwinschen Theorie | S. 341 – 352 |
Karl Peter Ohly Evolution und Islam – Islamisierung der Wissenschaft? | S. 353 – 360 |
Uwe Hoßfeld Menschliche Erblehre, Rassenpolitik und Rassenkunde (-biologie) an den Universitäten Jena und Tübingen von 1934 – 1945: Ein Vergleich | S. 361 – 392 |
Hansotto Reiber Die Entstehung von Form und Krankheit. Selbstorganisation oder genetisches Programm – zwei Paradigmen im Widerstreit | S. 393 – 410 |
Wolf-Ernst Reif Adolf Naefs Idealistische Morphologie und das Paradigma typologischer Makroevolutionstheorien | S. 411 – 424 |
Anschriften der Autoren | S. 425 |